Müllmythologie

Die Theatermacherin Hannah Biedermann hat eine Reise gemacht.
Mit Schauspielern hat sie sich für eine Produktion am Grips-Theater tief in die Welt des Mülls begeben: in die eigene Mülltonne, zur Sortieranlage, in die Dreckecken des Kiezes. Aus ihren Erlebnissen hat sie ein Kindertheaterstück geschrieben. Wie erzählt man den Müll, ohne Müll zu erzählen?

Zum Beispiel die Szene mit dem Grill. Da stehen vier Menschen gleich zu Beginn des Stücks in einem Garten, der sich als Plastikwelt aus dem Baumarkt entpuppt: Das Gras ein Rasenteppich aus Polypropylen für 5,99 Euro pro Quadratmeter. Das kleine Häuschen ein Stahlrohrgestell mit Folie aus Polyethylen für 29,95 Euro. Das anderthalb Meter hohe Bäumchen ein Ficus Benjamini aus Ethylenvinylacetat für 39,99 Euro. Dazu Deko-Enten aus Hartgummi, eine Vogelfigur, die bei Knopfdruck zwitschert “ und alle Schauspieler komplett im Polyester-Outfit.

Es ist ein Bild, das sich so oder so ähnlich zusammensetzen ließe aus Fotos, die jemand an einem Sonntag im August von der Idylle auf Berliner Balkonen oder von Datschen in Brandenburg gemacht hat. Eine Szene, die sich die Theatermacherin Hannah Biedermann so ausgedacht hat für ihr neues Stück am Berliner Grips-Theater. “Müll. Ein Making-of“ heißt dieses Stück.

Wer denkt, dass sich Hannah Biedermann da einen gut gemeinten Text für Kinder aus dem Kopf getippt hat, und glaubt, dass die Schauspieler ihre Passagen auf der Bühne nur noch hübsch aufsagen müssen, der wird erstaunt sein, welche Selbstversuche die Regisseurin zusammen mit ihren Schauspielern Jens Mondalski, Kilian Ponert, Vanessa Stern und dem Musiker Johannes Birlinger gemacht hat: um zu schauen, wie viel Abfall anfällt. Sie waren einen halben Tag mit Müllmännern der BSR unterwegs, um Tonnen zu kippen. Fuhren raus nach Mahlsdorf zur Sortieranlage von Alba, wo die recycelbaren Reste der Hauptstadt auseinander­kla­müsert werden, oder nach Ruhleben in das Müllheizkraftwerk der BSR, wo aus Abfall Energie gemacht wird. Zogen als Flaschensammler durch die Kieze. Versuchten Hausmüll auf einem Flohmarkt zu verkaufen.

Von ihren Abenteuerreisen haben sie Geschichten für das Stück mitgebracht, in dem sie uns von Menschen erzählen.
Zusammenhänge aufdecken. Landschaften beschreiben. Manchmal nur beiläufig, aber manchmal auch laut Fragen stellen wie in der Szene am Grill, gleich zu Beginn des Stücks: Was das überhaupt ist, Müll. Wann eine Sache aufhört, etwas Wertvolles zu sein. Was damit passiert. Und ob es ein richtiges Leben im falschen gibt. Es sind die Antworten auf Fragen wie diese, von denen uns nicht alle gefallen werden.
Text Max Gehry | FOTOS Stephan Pramme

Trenntmagazin Berlin, Herbst Ausgabe 2015