mit bestürzen erfuhren wir am Freitag Abend durch Dr. Reitemeyer von den tiefgreifenden Einschnitten in der Förderung der freien darstellenden Künste. Diese markieren einen kulturpolitischen Wendepunkt – mit erheblichen strukturellen und existentiellen Folgen für eine der bedeutendsten freien Theaterszenen Deutschlands.
Als eine der renommiertesten und seit Beginn (2007) in NRW arbeitenden freien Performancegruppen für junges Publikum, sind wir nicht nur um die vielfältige freie Kulturszene insgesamt besorgt, sondern möchten hiermit vehement auf eine nicht akzeptable Kürzung an der kulturellen Vielfalt und Teilhabe für und mit jungen Menschen hinweisen.
Nordrhein-Westphalen gilt nicht ohne Grund als eines der stärksten und vielfältigsten Bundesländer des freien Theaters für junges Publikum und dennoch leiden die freien Gruppen, die für junges Publikum produzieren weiterhin unter struktureller wie finanzieller Benachteiligung.
Für eine freie und demokratische Gesellschaft müssen die Bedürfnisse und Belange junger Menschen erst genommen werden. Es müssen mehr Räume der Begegnung und der friedlichen Auseinandersetzung geschaffen werden, nicht weniger.
Deutschland braucht wache, mitdenkende und gestaltungswillige junge Menschen. Dafür braucht es Kunst für junge Menschen.
PRESSEMITTEILUNG
NRW: Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft beschließt den Kollaps der Freien Theaterszene
Dringender Appell zur Fortsetzung der mehrjährigen Förderprogramme für freie Theater- und Tanzgruppen aller Publika
Nach monatelanger Verzögerung hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW eine Entscheidung über die mehrjährigen Förderprogramme für die Freien Darstellenden Künste getroffen. Sie bedeutet für die Freie Szene einen drastischen Strukturabbau, der erhebliche Risiken für zahlreiche Theatergruppen in sich birgt.
Die Spitzen- und Exzellenzförderung Theater soll um knapp die Hälfte gekürzt und – abweichend von der bisherigen Praxis – nicht im November 2024, sondern erst im Verlauf des Jahres 2025 neu ausgeschrieben werden. Die laufenden Förderungen enden bereits im Juni 2025 – ein gefährlicher Bruch in einer über 13 Jahre gewachsenen Förderarchitektur, der eine Vielzahl profilierter Künstler*innen und Netzwerke in existenzielle Bedrängnis bringt. Die für die exzellenzgeförderten Gruppen in Aussicht gestellte Übernahme in eine Institutionelle Förderung ist kein Thema mehr.
Die Spitzenförderungen Kinder- und Jugendtheater wird komplett eingestellt. Die bisherige Fördersumme wird um 50 % gekürzt. Die halbierte Summe wird nochmal paritätisch geteilt und vier, anstelle der sechs derzeit geförderten Gruppen, sollen eine Dauerförderung des Landes erhalten und die andere Hälfte soll in institutionalisierte, freie Kinder und Jugendtheater gehen. Jedoch ohne erneute öffentliche Ausschreibung und Fachjury-Entscheidung und mit einhergehenden Kürzungen der Fördersumme im Vergleich zur Spitzenförderung in Höhe von insgesamt 75 Prozent.
Über die Zukunft der mehrjährigen Konzeptions- und Tanzförderungen macht das Ministerium derzeit keine Angaben.
Die Mehrjahres-Förderungen sichern aktuell die Arbeit von 64 professionellen Theater- und Tanzgruppen in NRW. Sie ermöglichen stabile Arbeitsbedingungen, künstlerische Qualität und kontinuierliche Entwicklung – und gelten seit über einem Jahrzehnt bundesweit als Modell nachhaltiger Kulturförderung, sozialer Absicherung und struktureller Stärkung der Freien Szene.
Das Ministerium ist Fragen nach Entscheidungsgrundlagen, Kriterien oder Folgenabschätzungen schuldig geblieben. Eine erkennbare kulturpolitische Strategie bleibt aus. Vielmehr scheint die politische Praxis im Widerspruch zu öffentlichen Bekenntnissen gegenüber der Freien Szene zu stehen. Ob im Vorfeld der Entscheidungsfindung Fach-Expertisen einbezogen oder strukturelle Auswirkungen analysiert wurden, bleibt ebenso offen wie die grundsätzliche Haltung des Ministeriums zur Zukunft der Freien Szene. Wie die Mittel aus dem sogar leicht gewachsenen Haushaltstitel für die Freien Darstellenden Künste für 2025 konkret verwendet werden, wurde seitens des Ministeriums nicht beantwortet.
Gerade in einer gesellschaftlich angespannten Zeit ist es unerlässlich, dass die Landesregierung kulturelle Vielfalt schützt, nicht gefährdet, und diesbezüglich handelt, anstatt sich zurückzuziehen.
Unsere Forderungen an das Ministerium für KULTUR und Wissenschaft des Landes NRW lauten:
- Unverzügliche und vollständige Fortsetzung der Spitzen- und Exzellenzförderung Theater und Kinder- und Jugendtheater im bisherigen Umfang
- Zeitnahe Entscheidungen über Ausschreibungstermine und vollständige Weiterführung der Spitzenförderung Theater, Kinder- und Jugendtheater, Spitzen- und Exzellenzförderung Tanz und der Konzeptionsförderung.
- Einrichtung eines Überbrückungszuschusses für alle Gruppen in den bisherigen Spitzen-, Exzellenzförderungen, die von der verzögerten Ausschreibung betroffen sind.
- Transparente Kommunikation der Entscheidungsprozesse: Förderkriterien, Mittelverwendung, Zeithorizonte und strukturelle Folgen müssen nachvollziehbar gemacht werden – insbesondere angesichts des 2025 aufgestockten Haushaltstitels Freies Theater. Die Transparenz des Haushalts ist ein Bürger*innenrecht!
- Verlässliche, nachhaltige Kulturpolitik: Aufbau eines kontinuierlichen, transparenten Dialogs zwischen Politik und Freier Szene.
- Die rechtliche Verankerung mehrjähriger Kulturförderung im Kulturgesetzbuch NRW.
Mit freundlichen Grüßen von der Spitze des Eisbergs,
Alfredo Zinola + Micaela Kühn Jara, Angie Hiesl + Roland Kaiser, echtzeit-theater, fringe ensemble, half past selber schuld, Hofmann&Lindholm, kainkollektiv, KGI, Marlin de Haan, performing:group, pulk fiktion, Rotterdam Presenta, subbotnik, Tanzfuchs PRODUKTION, Theaterkollektiv Pièrre.Vers, TOBOSO und vorschlag:hammer