“Herzlich willkommen zur Konferenz der wesentlichen Dinge.“ Die Begrüßung schallt aus kleinen Lautsprechern, während Kinder und Erwachsene an Tischen Platz nehmen. Weiter im Text: “Also geht es um Wesentliches. Also geht es um euch.“ Vor den Besuchern dieser Aufführung steht ein kleiner Kasten mit zwei Knöpfen. Sie können abstimmen, zum Beispiel darüber, welche Regeln für sie wesentlich sind. Ein Beispiel: “Wer umarmt werden will, muss umarmt werden.“ Auf welchen Knopf würden Sie jetzt drücken? Ja oder nein? Natürlich sind nicht alle Fragen vorgegeben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer “ von Zuschauenden kann man hier nicht mehr sprechen – können Vorschläge machen, über die dann debattiert und abgestimmt wird. Im weiteren Verlauf der Vorstellungen stellen die Performer Aufgaben. Zum Beispiel an die Erwachsenen: “Erzähle einem Kind von deinen Beziehungsproblemen!“ Puh. Wollen wir das? Aber wieso eigentlich nicht? Die Kinder merken es doch sowieso, wenn da mal was nicht stimmt. Also sollten wir mit ihnen ehrlich reden, oder?
Diese Produktion, die “Konferenz der wesentlichen Dinge“ läuft unter der Rubrik “Kinder- und Jugendtheater“. Einer eigentlich überholten Bezeichnung, denn hier kommen fast immer mehrere Generationen zusammen. Und gerade diese Konferenz ist ebenso interessant für die Eltern, Großeltern wie für die Kinder. Hannah Biedermann hat sie mit ihrer Gruppe “pulk fiktion“ entwickelt und inszeniert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich ist das Kinder- und Jugendtheater längst über das brave Geschichtenerzählen hinaus. Längst hat sich eine innovative, mutige Szene entwickelt, besonders in NRW. Die ästhetischen Entwicklungen aus dem Abendspielplan werden auf den Jungen Bühnen reflektiert, gespiegelt “ und zum Teil auch vorweg genommen.
Eine Speerspitze dieser Bewegung ist Hannah Biedermann, die zwar auch ganz klassisch als Regisseurin arbeitet, aber mit “pulk fiktion“ aufregende und originelle performative Arbeiten entwickelt, in denen die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Mit- und Zuspielern werden.
In Bonn ist Hannah Biedermann geboren und aufgewachsen. Dort lernte sie auch das Theater kennen, und zwar vor allem das wunderbare Theater Marabu, das zu den besten im deutschen Sprachraum gehört. Es folgte eine Schauspielausbildung am Theater der Keller in Köln, dann wechselte sie an die Universität Hildesheim zum Diplomstudium “Szenische Künste“. Dort lehrt Professor Wolfgang Schneider, der als Vorsitzender der Assitej zu den wichtigsten Vordenkern des Jugendtheaters gehört. 2008 – noch während des Studiums – gründete Hannah Biedermann “pulk fiktion“ das Theater Marabu leistete dabei viel Hilfe beim Anschub. Alle Produktionen von pulk fiktion wurden zu Festivals eingeladen, fast immer gibt es eine Liste von Koproduzenten deutschlandweit. “Ich setze mich für das Recht von Kindern auf ihre ganz eigene Kunst ein,“ schreibt Hannah Biedermann auf ihrer Webseite. Das ist die Grundlage ihres Denkens, wobei sie nicht glaubt, einfach so die Perspektive von Kindern einnehmen zu können. Ihr Theater ist grundehrlich. Natürlich spricht sie und sprechen die Performer als Erwachsene mit dem jungen Publikum. Aber sie stellen sich ebenso in Frage und erzählen von ihren Träumen, Ängsten, Verzweiflungen und Freuden, wie sie es von den Kindern erwarten. Das ist Theater der direkten Kommunikation, der Begegnung. In der “Konferenz der wesentlichen Dinge“ wird zwischendurch gelacht und gequatscht, dann herrscht wieder starke Konzentration. Irgendwie scheint mir dieser Titel Programm zu sein für die Arbeit Hannah Biedermanns: “Konferenz der wesentlichen Dinge“. Das soll und muss Theater sein. Herzlichen Glückwunsch zum Förderpreis des Landes NRW.
Jury Stefan Keim, Wetter Regine Müller, Düsseldorf Melanie Suchy, Frankfurt